Allgemeinverfügung gegen Straßenblockaden der Bauern in Jena.
Jena ist eine pulsierende und inspirierende Stadt. Und zeigt sich bei vielen Gelegenheiten von ihrer ausgesprochen korrekten Seite. So zum Beispiel, als die Stadt im Jahre 2020 als erster Ort in Deutschland eine Mundschutzpflicht für Bürger und Besucher ausrief. 2022 verhängte die Stadtverwaltung in vorbildlicher Art und Weise Bußgeldbescheide gegen die Beschäftigten im Gesundheitswesen, die keinen Nachweis für eine vollständige Corona-Impfung vorweisen konnten.
Als in diesem Jahr sich in vielen Städten und Gemeinden Menschen mit den Protesten der Landwirte solidarisierten, den Bauern zuwinkten, sie mit warmen Getränken und Essen versorgten oder sich ihnen sogar anschlossen, machte die Stadtverwaltung am 8. Januar kurzen Prozess und erließ mit sofortiger Wirkung eine Allgemeinverfügung für das Verbot von unangemeldeten Straßenblockaden für sämtliche Straßen im Jenaer Stadtgebiet. Auch „erkennbar langsames Fahren, welches den Verkehrsfluss erheblich behindert“ wurde damit untersagt.
Die Verwaltung der Lichtstadt begründete diese Anordnung wie folgt: „Ab etwa 6 Uhr des 08.01.2024 zeichnete sich im Stadtgebiet Jena die vollständige Sperrung sämtlicher Zufahrtsstraßen (B 88, Erlanger Allee, B7) stadteinwärts und stadtauswärts durch landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge ab. Seit diesem Zeitpunkt war der fließende Verkehr auf verschiedenen Hauptverkehrsrouten teilweise mehrere Stunden vollständig eigestellt. Es wurden lediglich medizinische Fahrzeuge mit Sondersignal durchgelassen. Im Übrigen entschieden die Verantwortlichen willkürlich über die Durchfahrt einzelner Fahrzeuge, z.B. ÖPNV und Patiententransporte, sofern diese überhaupt bis zur Sperrung gelangten. Insbesondere die Zufahrt zum Universitätsklinikum Jena war damit unmöglich.“
Auch der Mitteldeutsche Rundfunk bestätigte am gleichen Tag das Ausmaß der Bauernproteste im Freistaat: Laut einem Fazit der Polizei seien etwa 6.500 Menschen dem Aufruf zum Bauernprotest in Thüringen gefolgt. Mit knapp 4.000 Traktoren, Schleppern und Lkw sei massiv der Verkehr behindert worden. Unter anderem seien Autobahnauffahrten der A 4, A 9, A 39 und A 71 durch querstehende Traktoren blockiert gewesen. Als Schwerpunkte der Verkehrsbeeinträchtigungen wurden der Großraum rund um Jena und das Hermsdorfer Kreuz genannt.
Weil für den 10., 11. und 12. Januar „weitere versammlungsrechtliche Aktionen in Verbindung mit der bundesweiten Aktionswoche der Bauernproteste“ für das Stadtgebiet Jena angezeigt worden seien und nach „Einschätzung der Sicherheitsbehörde und öffentlich zugänglicher Quellen“ zu befürchten sei, „dass im Zusammenhang mit der Aktionswoche erneut derartige Blockadeaktionen zu erwarten sind, die Auswirkungen auf den Verkehrsfluss im gesamten Stadtgebiet haben“, erließen die Stadtoberen am 9. Januar vorsorglich eine erneute Allgemeinverfügung für den Zeitraum 10. bis einschließlich 15. Januar 2024.
Das Online-Portal „Ansage.org“ kritisierte am 12. Januar unter der Überschrift „Traurige Verbots-Realitäten in Jena“, „dass nun auch die landesweiten Bauernproteste, wenigstens im solitären Jena, mit Stumpf und Stiel ausgemerzt werden sollen“.
„Versammlungsfreiheit ist kein Freifahrtsschein”
Jenas Oberbürgermeister Thomas Nitzsche (FDP) verteidigte nach einem Bericht des Nachrichtenportals „Tag24“ vom 13. Januar das erlassene Verbot: „Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit in unserem Land ist ein sehr, sehr hohes Gut, aber sie ist kein Freifahrtschein”, wird das Stadtoberhaupt in seiner „Freitagsbotschaft“ zitiert. Zwar habe er für die Proteste eigenen Angaben nach Verständnis, aber man müsse aufpassen, meinte er und warnte vor einer Art „Protest-Trittbrettfahrertum”. Auch zu konkreten Gefahren wurde Thomas Nitzsche bei „Tag24“ zitiert: „Ich sage nur: In Lobeda haben wir einige Dialyse-Patienten im Auto sitzen sehen, die dann mit dem Beutel neben dran bei Minusgraden irgendwann das Problem hatten, weil sie nicht durchkamen, dass der Tank leer wird, weil man natürlich die Heizung laufen lassen muss und nicht in die Praxis kamen.” Außerdem wusste der OB von blockierten Autobahnzufahrten in Lobeda zu berichten, wo den Kollegen und Kolleginnen und der Polizei Dinge entgegengerufen worden sein sollen, die „ganz klar aus der Reichsbürgerszene” kämen. Der Politiker appellierte deshalb eindringlich gegenüber den Medien: „Schaut, mit wem Ihr da demonstriert!”
Wie „mdr.de“ am 10. Januar berichtete, seien an diesem Tag rund 100 Traktoren von Landwirten aus dem Saale-Holzland-Kreis auf drei Strecken durch Jena gerollt. Diese seien nach Angaben der Organisatoren am Morgen von den Agrargenossenschaften Schöps, Wechmar, Isserstedt und Königshofen aus gestartet. „Sie fuhren mehrmals langsam durch die Innenstadt. Zufahrten würden nicht blockiert, sagte Mitorganisator Tristan Sammer. Laut die Verkehrsgesellschaft JES konnte es trotzdem wegen der Proteste zu Verspätungen bei Bussen und Straßenbahnen kommen. Die Polizei berichtete von nur wenig Verkehrsbeeinträchtigungen bei der Fahrt nach Jena.“ Den Höhepunkt erreichten die Proteste am 10. Januar in Jena mit einer Kundgebung auf dem Eichplatz. Dort hatten sich nach mdr.de-Informationen zur Mittagszeit mehrere hundert Bauern, Handwerker und Gewerbetreibende aus Jena und anderen Teilen Thüringens versammelt: „Der stellvertretende Thüringer Bauernverbands-Präsident Udo Große kritisierte in seiner Rede die Bundesregierung scharf: `Wir Bauern werden im Moment zum Opfer einer desaströsen Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik der Bundesregierung. Die Darstellung der Bauern als notorische Subventionsempfänger sei ein Skandal.“
Bauern nicht als Eindringlinge betrachten
Unterstützung erhielten die Landwirte bei ihren Protesten in Jena von den Handwerkern der Region. Die Geschäftsführerin der acht Innungen mit 300 Mitgliedsbetrieben repräsentierenden Kreishandwerkerschaft, Manuela Vogt, erklärte gegenüber „mdr Thüringen“, dass es schon seit langem bei den Handwerkern brodele. Es gehe nicht nur um das Zurückrudern von „ideologiegetriebenen Politik-Erlassen”: „Der Abbau der `überbordenden und lähmenden Bürokratie´ dürfe nicht länger nur ein Lippenbekenntnis bleiben.“
Ich finde, die sich zu Weltoffenheit, Buntheit und Toleranz bekennende Stadt Jena sollte die Bauern nicht als Eindringlinge und Chaosverursacher betrachten. Sie könnte durchaus auch ein Bekenntnis für die Landwirte abgeben und den Bauern und Handwerksbetrieben Respekt zollen. Sie sind es, die uns nicht nur mit hochwertigen Nahrungsmitteln versorgen und einen zunehmend wichtiger werdenden Beitrag für die Energie- und Rohstoffversorgung erbringen. Sie gestalten und pflegen auch maßgeblich das Gesicht des Umlandes von Jena, damit die Lichtstadt auch in Zukunft weithin leuchten kann.
Über die deutschlandweiten Proteste der Landwirte und warum die Reduzierung der Bauernhöfe von der Politik gewollt ist, beschäftigte ich mich in meinem Beitrag „Abhängigkeits-Agenda” auf meiner Internetseite.